Vorlesen

Letztens habe ich einer Freundin mal ein, zwei meiner Kurzgeschichten vorgelesen. Ich lese ganz grundsätzlich gerne vor und ich wollte auch mal wissen, wie die Geschichten so wirken, wenn sie konkret werden. Was passiert, wenn ich die Worte außerhalb meines Kopfes ausspreche. Mit den Anderen und mit mir.

Die Freundin hatte die Geschichten noch nicht gelesen. Ist noch nicht dazu gekommen, hat es immer wieder vergessen. Ich hab schon immer viel Wert auf ihre Meinung gelegt, drum hab ich dann letztendlich für sie gelesen.

Sie hat ein Pokerface aufgesetzt, von ihrem Gesicht konnte ich nichts ablesen.

Sie saß da mit untergeschlagenen Beinen auf dem Sofa und ich hab versucht zu spüren, was sie denkt.

Hab versucht die Energien zu deuten, die aus ihrer Richtung kamen und kribbelnd wie Käferchen meine Arme entlangwanderten.

Ich hab mich so sehr darauf konzentriert, auf dieses Kitzeln, dass ich mir selbst gar nicht mehr bewusst zu hören konnte. Meine Worte, auf dem Papier, meine Worte in der Luft, Worte kamen automatisch über meine Lippen und ich konnte ihnen keine Aufmerksamkeit schenken.

Ich hab einen Blick auf meine Freundin geworfen, die immer noch mit Pokerface da saß. Genau wie beim ersten Wort. Sie hatte sich kein bisschen bewegt.

Die Energien waren noch da, kamen aber gar nicht von ihr. Von ihr kam gar nichts.

Mir wurde übel und ich merkte, dass ich ihr noch immer vor las, dass ich noch immer Worte in ihre Richtung schickte.

Ich konnte mich sprechen hören, ich konnte nicht hören, was ich sagte.

Ich spürte, dass es nicht meine Worte waren, ich wusste nicht wessen Worte es waren.

Das Kitzeln, das Kribbeln der Energien verstärkte sich, breitete sich aus und Etwas begann sich aus meinen Poren zu befreien.

Wie Dampf, wie Elektrizität, sammelte Etwas sich erst um meinen Körper herum um dann zum Sessel hin zu strömen, der in der Ecke des Raums stand wo er als Ablage für nicht ganz schmutzige Kleider diente.

Etwas saß auf dem Sessel, schob die Kleider beiseite, warf sie zu Boden.

Ich blätterte um, sah, dass ich bei der letzten Seite angekommen war.

Etwas gab mir vom Sessel aus ein Zeichen, dass ich mich beeilen soll.

Ich lese die letzten Worte und Etwas erhebt sich aus dem Sessel, verlässt den Raum.

Ich schaue meine Freundin an.

Immer noch Pokerface.

"Und, was denkst du?", frage ich, "Ist das lesbar? Oder sollte es mir peinlich sein?"